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Das Nibelungenlied als Zerrspiegel der
Thidrekssaga
Rolf Badenhausen
Ohne diese beiden Überlieferungen hätte es den
Stellenwert von Ritter-Schaumburgs ‚nordwärts
ziehenden Nibelungen‘
nicht gegeben. Und so erweist ein Blick in das BERNER-Register
„Beiträge“ via Suchwort „Nibelungen“ auch unser Interesse an der
tiefgründigen Literalität des oberdeutschen Nibelungenstoffs.
Hierzu liegt uns ein aktueller Forschungsbeitrag von Dr. phil. Ulrike
Ritter vor, den sie unter dem Titel „SCHACH
dem HELDEN. Die christliche
Etablierung eines leidenden Heldentypus im Nibelungenlied“ auf
der diesjährigen Tagung der Nibelungenlied
- Gesellschaft Worms e.V.
vorgetragen hat.
Die Autorin verdeutlicht den transliterarischen Übergang von heroischen
Figurenprojektionen der Antike bis zu den Siegfried- und
Hagen-Darstellungen im Liedepos, das aber auch den Wandel in leidende
und betrauerte Gestaltenbildnisse im hochmittelalterlichen, nachhaltig
von byzantinischen Kulturwerten geprägten Literaturmilieu erkennen
lässt.
Dazu verweist U. Ritter in ihren beispielhaften Textuntersuchungen des
Nibelungenlieds vor allem auf den Hortus deliciarum von Herrad
von Landsberg. Ihr Wirken sowohl als Enzyklopädistin als auch
signifikante Wegbereiterin eines den christlichen Wandel weiter
forcierenden stauferzeitlichen Kulturwesens sollte sich im
„Superbia“-Ethos des Heldengedichts widerspiegeln – so vor allem in
seiner Darstellung von Kriemhilds Trauer um Siegfried. Zum anderen
exploriert U. Ritter nicht nur für ihn, sondern auch für das
Psychogramm seines Mörders sowohl atmosphärische als auch
wesenstypische Parallelen aus der Sagen- und Götterwelt des
panhellenischen Heros Herakles. Ihr Beitrag, der für unsere
Forschungsrichtungen interessante neue Perspektiven bietet, befindet
sich auf unserer Forum-Netzseite unter „Aufsätze und Beiträge“.
Gleich zwei Beiträge in diesem BERNER widmen sich einem vorspringenden
Topos aus U. Ritters Forschungsvortrag: die Flussüberquerung der
Nibelungen. Sie zählt aber auch zu einem der herausragendsten
Identifizierungskriterien in Ritter-Schaumburgs Thidrekssaga-Forschung.
Zu dieser Episode, dem Drama über Hagens Begegnung mit den
„Meerweibern“ und dem Fergen, hinterfragt K. Weinand die Wirkungskraft
der griechischen Mythologie – so mit ihrem Herakles, ihren
Sirenen-Nymphen, ihrem Charon – auf die Erzählungsgestaltung sowohl vom
Lieddichter als auch Saga-Skriptor.
Weinands Ausführungen, die in redaktioneller Begleitung von U. Ritter
kommentiert wurden (hier S. 26–28), bilden zugleich eine Einleitung in
meine anknüpfende textkritische Untersuchung der Flussüberquerung
einerseits im Reimepos, andererseits in der Thidrekssaga. Demnach
finden sich in diesem Beitrag weitere Überlegungen zur
„Überlieferungshierarchie“ beider Großwerke, wozu jedoch auch ein
unvermeidbarer Blick die Heldenlieder der Älteren (!) Edda geworfen
wird.
Auf die Spuren eines längst in Niederdeutschland vermuteten
Überlieferers der altskandinavischen Dietrichsage begibt sich ein
weiterer Beitrag, der nicht nur biblisch-christliche Rezeptionsmotive
in der Thidrekssaga sondiert, sondern auch textcharakteristische
Erzählungswendungen für den Rückschluss auf eine von Teilen der
Forschung angenommene monografische Großvorlage anbietet.
Wie bereits in unseren Online-Vereinsnachrichten zu lesen steht, wird
die abgesagte „Jahrestagung 2025“ im kommenden Frühjahr auf unserer
Jahrestagung 2025/2026
nachgeholt. Dazu bereits mehr in diesem Heft von unserem Vorsitzenden
und Tagungsorganisator Edo Oostebrink, der (S. 63)
einer engagierten Teilnahme an diesem Frühjahrskolloquium gerne
entgegensieht.
Insoweit schließen sich auch Vorstand und Redaktion des BERNER diesem
Wunsch an. Denn schließlich steht der verfügbare Raum unseres Forum-
und Vereinsorgans nicht nur allen derzeit
leider nur sehr wenigen aktiv beitragenden Mitgliedern, sondern
auch einer forschungsthematisch
relevanten und somit willkommenen Leserschaft zur Verfügung.
Schreiben Sie uns!
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